„Ich will Dir was zeigen.“ Nehme Dich bei der Hand und gehe mit Dir in das Badezimmer, das am Ende des Flures liegt. Im Dunkeln postiere ich uns vor dem Spiegel und trete hinter Dich, leg meinen Kopf neben Deinen an die Schulter.
Durch den schwachen Lichtschein der durch die Türe dringt, kann ich unsere Umrisse im Spiegel erkennen.
Wie eine Person aus zwei geschmolzen.
Sanft lege ich meinen Mund an dein Ohr und raune dir zu „Was siehst Du?“ Du willst Deinen Kopf zu mir drehen, blickst verwundert. Doch ich halte deinen Kopf in der Bewegung inne und drehe ihn sanft aber bestimmt wieder nach vorn, so dass Du dein Spiegelbild erkennen kannst. „Was siehst Du?“ frage ich dich erneut.
Du spannst Dich an, kann das kontrahieren deiner Muskeln spüren. Du bist still, Dein Blick geht starr geradeaus, alles in Dir sträubt sich, sträubt sich gegen Deine Empfindungen.
Ich hole ein Feuerzeug aus der Tasche und entzünde die zwei Kerzen die rechts und links neben dem Spiegel aufgestellt sind. Unsicher wie weit ich gehen soll oder darf, rücke ich noch ein Stück näher an Dich heran, wir berühren uns nun. Ich lege meine Hände um Dich herum und halte Dich fest. „Ich bin für Dich da“ flüstere ich. Der Kerzenschein taucht den Raum in warmes Licht, unser Spiegelbild tanzt im Schatten der Kerzenflamme. Augen blitzen auf um im Dunkeln zu verschwinden und ein neues Detail unserer Gesichter wird erhellt.
Lege meinen Mund an Deinen Hals, küsse ihn sanft, streiche mit den Lippen weiter und flüstere abermals in dein Ohr „Was siehst Du?“
Meine Wange auf deiner Schulter, beobachte ich Dein Spiegelbild. Angestrengt blickst geradeaus, doch blickst du durch den Spiegel hindurch. Starrst ein Loch in die Wand in der Hoffnung dich aus jenem davon zu stehlen.
Mit leichtem Druck signalisiere ich dir meinen Beistand, mit meinem Daumen streichle ich leicht über deine Bauchdecke. Du legst deine Arme auf meine, unsere Finger greifen ineinander, halten sich fest umschlungen fest.
Beide sehen wir in den Spiegel.
Während du einen Fluchtweg schaust, versuche ich in deiner versteinerten Miene zu lesen. Wie eben an der Bauchdecke lasse ich meine Finger über deine Haut gleiten, streichle dir beruhigend den Unterarm entlang. Mein Atem dringt sanft und ruhig an Deine Haut, ich bin für dich da.
Lass dich fallen. Wenn du willst, ich fange dich auf.
Unter stetem weiterstreicheln löst sich deine Anspannung ein wenig, mein Körper erschaudert bei dem Gefühl das du dich ein wenig öffnest und dich bei mir ein bisschen entspannen kannst.
Auch wenn Du dich noch immer nicht selbst im Spiegel ansehen kannst, nicht sehen kannst was für ein Engel du für mich bist, so ist zumindest die Härte aus deinem Gesicht gewichen und die versteinerte Maske beginnt zu bröckeln. Als wenn ich unter einem wohlig warmen Regenschauer stehen würde fühle ich nur Wärme für dich. Jede Zelle meines Körpers ist damit erfüllt. Mit einem tiefen Seufzen vor wohlgefallen lege ich meine Wange an deinen Halsbogen. Du drückst leicht meine Hand, ich erwidere deine Geste und schmiege mich eng an dich. Möchte das dieser Moment nie vergeht. Mit flüsternd belegter Stimme spreche ich zu dir „ Weißt du was ich sehe?“ Dein Blick flammt kurz im Spiegel auf, der ängstlich mein Gegenüber im polierten Glas ansieht. „Ich sehe zwei Menschen,“ sage ich mit noch immer belegter Stimme. Die Angst aus Deinen Augen wechselt mit Verwunderung den Platz, ein leichtes Lächeln spielt um Deine Lippen. In deinen Augen stehen Fragezeichen als du den Mund öffnen willst um meine Beobachtung zu kommentieren, fahre ich fort deinen Unteram in Haarwuchsrichtung zu streicheln.
Aber ich sehe noch mehr. „Ich sehe zwei Menschen die einander vertrauen, die sich nah sind. Zwei Menschen die miteinander gewachsen sind, jeder an seiner Persönlichkeit und ein Stück miteinander zusammen verwachsen.“ Bei meinen Worten werden deine Augen größer, jedoch verblassen die Fragezeichen und dein Blick wird ausgeglichener. Deine Muskelanspannung lässt wieder ein wenig nach, kannst dich leicht an mich lehnen mit der Gewissheit das ich dir den Rücken stärke. Wieder ein Stück weit mehr das du dich mir öffnen kannst, meine Hand streicht weiter über deinen Unterarm während ich fortfahre meine Eindrücke in Worte zu fassen. Für jedes Stück das du dich mir öffnest gehe ich einen Schritt auf dich zu, schenke dir mein Vertrauen, kann sein wie ich bin. „ In mir sehe ich...“ jetzt bin ich es die sich leicht anspannt und mit der Überwindung kämpft. Sehe in mein Spiegelbild und wünschte mir ich könnte genauso durchsehen und es ignorieren, es nicht an die Oberfläche kommen zu lassen, doch es ist zu seicht ich kann es schon sehen, habe schon begonnen es aufsteigen zu lassen, Angst steigt in mir auf je weiter es an die Oberfläche tritt. Ich atme tief durch, ich brauche mich nicht fürchten, weil du mir die Hand hältst, du mir Kraft gibst. Ich spüre deinen Blick auf meinem Gesicht ruhen, zärtlich und geduldig.
Dich vor meiner Brust zu fühlen und dich nicht als Schutzschild zu empfinden gibt mir den Mut weiter zu erzählen.
Ich öffne meine Augen und sehe in mich.
„Ich sehe in mir einen Menschen, der gelernt hat Gefühle zu leben. Gefühle von denen ich immer nur geträumt habe. Gefühle die impulsiv über mich hereinbrechen ohne Vorwarnung. Einfach so. Gefühle die ich am liebsten vor Schmerz herausschreien wollte und Gefühle von deren Wärme mir die Tränen in den Augen standen. Empfindungen von denen ich nie dachte das sie in mir wären. Immerzu dachte ich diese Gefühle würden mir eines Tages geschenkt, wenn ich bereit dazu wäre. Sprich, ich dachte nie so tief fühlen zu können. Als ich dann wider erwarten doch solche Emotionen in mir fand, wollte ich sehr sparsam damit umgehen weil sie mir viel zu kostbar waren als das ich sie an einen Menschen verschwenden wollte der mich damit verletzen könnte. Das war mein Schatz den ich nur einen ganz besonderen Menschen schenken wollte. Und immer wenn ich dachte ich hätte eine würdige Person gefunden plagten mich Ängste und Zweifel...
Doch es verläuft nach dem – tischlein deck dich – prinzip. Je mehr ich geben kann umso mehr wird mir wiedergegeben und dieser Schatz ist schier unerschöpflich reich an Sinnen. Ich habe eine Vielzahl an Gefühlen in mir drinnen angesammelt die darauf warten gefühlt zu werden.
Ich hatte immer geglaubt einer Charakteranalyse entsprechen zu müssen und kam daher immer wieder mit mir selbst in Konflikt weil ich mich in jeder Sparte ein stück weit wieder erkannte. Doch ich bin weder Schwarz noch Weiß, Ich sehe in mir eine Farbpalette verschiedenster Grautöne. Hellere und dunklere. Sehe Facetten verschiedenster Charaktereigenschaften.
Ich kam zu der Überzeugung das dass Gleichgewicht der Natur auch für den Menschen gelten muss und nichts Gutes entstehen kann wenn es nicht einen bösen Gegensatz dafür gibt. Kein Tag ohne Nacht.“
Ich breche meinen Monolog ab und wir sehen uns im Spiegel in die Augen. Es ist ein komisches Gefühl hinter jemanden zu stehen und sich doch in die Augen sehen zu können. Es verstärkt mein Empfinden für dich, für uns. Wie wir so dastehen, engumschlungen wie eine Person und doch jeder für sich. Können uns den Rücken stärken ohne uns selbst dabei aus den Augen zu verlieren. Das ist so ein schönes Gefühl. Ich empfinde einfach nur Liebe.
„Und in mir sehe ich Angst. Angst die mein Leben lang besetzt hielt. Wie ein Pirat mein Bewusstsein zu kentern versuchte. Nach einer blutigen Schlacht „gewann“ ich die Schlacht als ich resigniert meine Ängste in mein Bewusstsein vordringen lies. Sie haben Stück für Stück meine Seele erobert, bis sie ans Tageslicht kamen und die letzte Barrikade nieder rissen. Und paradoxer weise in dem Moment als ich die Ängste zuließ und mir eingestand, fiel ihre furchteinflößende Maske von ihnen ab. Ich bin nicht gestorben. Im Gegenteil es hat mich stark gemacht, bin neu geboren.“
Noch einen Augenblick sehe ich in mein Spiegelbild, dann sehe ich dich schweigend an. Fordere und erwarte keine Antwort von dir. Wir sehen uns einfach nur an, lassen das im Kerzenschein Gesprochene auf uns wirken.
Es ist fühlt sich angenehm an, so mit dir zu stehen, mit dir schweigen zu können. Die Kerzen tauchen das kleine Bad in warmes Licht. Wie eine kleine Grotte, eine kleine Höhle in die wir uns zurückgezogen haben. Einige Zeit stehen wir ganz still, halten uns an den Händen und hängen jeder seinen Gedanken nach. Unsere Blicke treffen sich wieder im Spiegel, tauchen ineinander ein.
Nacktsein wäre angezogener als dieses intime Augenspiel, das einen nicht an sondern mitten in einen hinein sieht.
Von deinem Blick gefangen, schlucke ich und wiederhole abermals meine Frage: „ Und was siehst du?“
Im ersten Moment nimmt deine Anspannung wieder zu, wie ein Reflex. Entspannst dich aber bald wieder. Man sieht dir den Kampf an der sich hinter deiner Stirn abspielt, du drehst den Kopf und siehst in dein Spiegelbild. Deine Augen sind weit geöffnet, betrachten aufmerksam das „fremde“ Gesicht. Siehst nicht hindurch sondern siehst direkt in dich.
Ich stehe ruhig ganz nah hinter dir. Ich würde sonst was geben jetzt deine Gedanken lesen zu können. Fühlen zu können was du im Moment fühlst.
Du machst keine Anstalten mir deine Beobachtungen mitzuteilen. Vielleicht liegen sie dir auf der Zunge, vielleicht würdest du sie mir anvertrauen. Vielleicht findet ein Kampf in dir statt. Vielleicht willst du es auch einfach für dich behalten bis für dich der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
Ich lausche deinem Atem der ruhig und kontrolliert geht.
Stehe direkt hinter dir kannst mich fühlen und streichle dir noch immer über die Unterarme.
Vielleicht wenn du den Mut gefunden hast, wenn du dich traust.
Vielleicht.
Wenn du dich fallen lassen willst, mein kleiner Engel flügellos, fange ich dich auf.
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